Fairkehr

Deutschland hat keinen Platz mehr für den motorisierten Individualverkehr

Im Angesicht des rapiden demographischen Wandels wächst die Nachfrage nach mehr Raum für die Fortbewegung. In Deutschland leben 77% der Menschen in Grossstädten oder in Ballungsräumen und 18, 4 Millionen pendeln vom Land zur Arbeit in die Städte. Dem ADAC zufolge standen die Verkehrsteilnehmer in Deutschland 2017 insgesamt 457.000 Stunden im Stau. Mittlerweile gibt es in Deutschland 46 Millionen zugelassene PKWs und die Zahl der LKWs hat sich seit 1990 um fast die Hälfte verdoppelt. Um allen deutschen PKWs eine Parkfläche zu gewährleisten, verbraucht Deutschland eine Fläche von 600 000 Quadratkilometern. Das entspricht der Grösse von Hamburg. Verkehrsexperten sind sich einig: Deutschland hat schon lange seine räumlichen Kapazitäten für den motorisierten Individualverkehr überschritten und muss zwingend Umdenken. „Raum“ ist eine lebensnotwendige Ressource, dessen Endlichkeit nirgends so offensichtlich ist wie im bevölkerungsreichen NRW. Raum so zu organisieren, dass es den aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Bürger gestalterisch gerecht ist, ist die anspruchsvolle Aufgabe von Stadtplanern.

Innovation in der Stadtplanung gefragt

Richtungsweisende Unterstützung für eine ressourcenschonende Stadtentwicklung bekommen Stadtplaner vom Bund und dessen Forschungsinstituten. Diese orientieren sich an den wissenschaftlich-belegten Kriterien für nachhaltige Raum- und Verkehrsplanung. Nach diesen ist eine Stadt nur dann zukunftsfähig, wenn:

➢ Sie Mobilitätsformen enthält, die den PKW langfristig ersetzen
➢ Sie den Flächenverbrauch und CO2- Emissionen reduziert
➢ Sie den Abbau der Staatsverschuldung fördert

Aus dieser Grundlage entwickeln sich Empfehlungsrichtlinien die zum Beispiel vom Städte und Gemeindebund an die Kommunen herangetragen werden. Hierhin zeichnet sich ein klarer Trend zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik ab, die schon bald Handlungszwang für alle Stadte darstellen wird.

Wer jetzt eine grosse Umgehungsstrasse baut, so die Einschätzungen von Verkehrsexperten des Wuppertal Instituts, produziert ökologische, wirtschaftliche und soziale Kosten, die nie wieder aufgefangen werden können. Weiterhin in den Strassenbau zu investieren verschwende unnötige Zeit und knappe Haushaltsbudgets, die später für gestalterische Alternativen zur Verfügung stehen müssen. Stattdessen gäbe es klare Signale für die gesetzliche Verpflichtung folgender Bereiche:

• Frischluftschneisen und wohnortnahe Erholungsräume und Freiflächen
• Kompakte Siedlungsstrukturen mit kurzen Wegstrecken und Funktionsmischungen
• Erhöhter ÖPNV-Anteil, durch bessere Anbindung und Reduzierung von Parkraum
• Attraktives Rad-und Fußwegenetz
• Entsiegelungen von Flächen und Erhalt von versickerungsfähigen Untergründen

Das neue Leitbild der modernen Stadtplanung ist die vorausschauende Anpassung an den akuten Platzmangel, die Folgen des Klimawandels und die derzeitige Wirtschaftskrise.

Von anderen lernen und Vorbild sein

Für eine nachhaltige Raum-und Verkehrsplanung muss das Rad keineswegs neu erfunden werden. Kürzlich veröffentlichte das Wuppertal Institut einen Bericht, in dem der Maßstab europäischer Vorreiterstädte für den nachhaltigen Personenverkehr analysiert wurde. Die Studie zeigt, dass Städte wie Hamburg, Bristol, Stockholm oder Nijmegen erfolgreiche Strategien verfolgen, um Verkehr zu vermeiden und den Autoverkehr auf den ÖPNV, das Fahrrad und das zu Fuß gehen zu verlagern. Beispiele dafür sind die Ausweitung des Radwegenetzes, mehr Angebote mit Bus und Bahn, Tempo-30-Limits, höhere Parkgebühren und die Einführung einer City-Maut. Das Resümee der Forscher ist: „Die Städte machen den Verkehr nicht nur klima- und umweltverträglicher, sondern ihre Stadt auch lebenswerter.“

Immer mehr europäische Städte verfolgen gute Ansätze, denen andere folgen können. In Bocholt gibt es hierzu ideale Vorraussetzung. Durch seinen Status als Klimakommune und als fahrradfreundliche Stadt sind wichtige Leitplanken für die Akzeptanz von nachhaltigen Entwicklungsstrategien gesetzt. Auch das neue Mobilitätskonzept beinhaltet viele der Massstäbe von europäischen Vorreiterstädten und ist zusätzliche eine gute Grundlage für Förderprogramme von Bund und Land. Nun bedarf es nur noch den Willen und Mut der Kommune die zukunftsgerechten Massnahmen konsequent zu verfolgen und vor die kurzweilige Nordring-Lösung zu stellen.